Im Laufe der industriellen Geschichte hat man sich in der Produktion schon immer auf mündlich weitergegebene Erfahrungen und Erkenntnisse von langjährigen Mitarbeitern verlassen. Doch was passiert, wenn man langjähriges und sehr fachspezifisches Wissen nicht aufzeichnet oder dokumentiert? – Genau, es geht verloren. Im schlimmsten Fall richtet das sogar teuren Schaden an. So wie Arbeitsabläufe, Berichte und Maschinenprozesse heute digitalisiert und dokumentiert werden, müssen auch Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter digital dokumentiert werden – ein Wissensmanagement muss etabliert werden. Denn der Erhalt von Mitarbeitern und Betriebswissen ist entscheidend für den Erfolg in produzierenden Unternehmen.

Implizites Wissen in der Produktion

Bestimmt haben Sie in Ihrem Unternehmen selbst schon von implizitem Wissen profitiert, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denken Sie z.B. an Ihren ersten Arbeitstag zurück. Sie standen vor einem Problem und fragten einen Teamkollegen, wie Sie es lösen können. Vielleicht haben sie die Antwort bekommen: „Michael hat mir diesen Trick in Excel beigebracht“, oder: „Frag Antje, sie kriegt den Kopierer immer wieder zum Laufen.“

Implizites Wissen bezieht sich auf die ungeschriebenen, kollektiven Informationen und Fachkenntnisse, die innerhalb einer Organisation oder einer bestimmten Gruppe von Personen vorhanden sind. Dieses Wissen hat sich in der Regel im Laufe der Zeit durch Erfahrungen, Interaktionen und gemeinsame Praktiken angesammelt. Es umfasst Erkenntnisse, bewährte Praktiken, informelle Verfahren und andere wertvolle Informationen, die möglicherweise nicht dokumentiert sind, aber für das effiziente Funktionieren einer bestimmten Organisation oder eines Teams von entscheidender Bedeutung sind.

Wir von Magic haben im Rahmen von Projekten schon so einiges miterlebt:

● Ein Produktionsmitarbeiter eines Kunden kann z.B. an den Geräuschen von Maschinen erkennen, ob etwas nicht in Ordnung ist. In keinem Maschinenhandbuch steht geschrieben, dass drei hohe Töne bedeuten, dass der Keilriemen reißen wird. Aber dieser Mitarbeiter kann durch seine Erfahrung Maschinenausfälle vorhersagen und ihnen entgegenwirken, bevor sie zu einem Problem werden.

● Bei einem anderen Kunden hatte ein Mitarbeiter vor Jahren ein Softwareprogramm entwickelt, das für die Produktion entscheidend geworden ist. Als er das Unternehmen verließ, konnten keine Aktualisierungen der Software vorgenommen werden, weil niemand sonst den Code oder Prozess dahinter verstanden hat.

● Bei anderen Unternehmen wird sich auf erfahrene Abteilungsleiter mit 35 Jahren Betriebserfahrung verlassen. Dann wird aber versäumt, Mitarbeiter proaktiv und frühzeitig mit an Bord zu nehmen und zu schulen, damit sie diese Aufgaben übernehmen können, wenn der Ruhestand der alteingesessenen Experten naht.

Individuelles Wissen und Erfahrungswerte bringen Unternehmen einen enormen Mehrwert. Gerade deswegen sollten Unternehmen auch darauf achten, diese Informationen zu dokumentieren und zu formalisieren, um Kontinuität zu gewährleisten, insbesondere wenn Mitarbeiter in den Ruhestand gehen oder sich neuen beruflichen Tätigkeiten zuwenden. Wenn man anfängt, das implizite Wissen gewissenhaft zu erfassen, wird es zu etwas anderem: Zu institutionellem Wissen. Institutionelles Wissen hängt nicht von einer einzelnen Person ab, es sind Daten und Informationen, die in den Tools und Prozessen des Unternehmens dokumentiert verankert sind und daher für alle von Nutzen sein können.

Hier kommt FactoryEye ins Spiel. FactoryEye kann wesentlich dazu beitragen, individuelles Wissen und Erfahrungswerte zu erfassen und in institutionelles Wissen umzuwandeln, indem es eine Plattform bereitstellt, die Daten zentralisiert, Anpassungen unterstützt, Echtzeitüberwachung ermöglicht und die Zusammenarbeit über Fertigungsprozesse hinweg erleichtert.

Herausforderungen bei der Weitergabe von Wissen

Früher wurde implizites Wissen von den Handwerksmeistern an die Lehrlinge weitergegeben. In den heutigen Fabriken sieht es jedoch anders aus. Die ständige Fluktuation von Mitarbeitern führt zu Fehlern und einem Mangel an allgemeinen Betriebskenntnissen. Dies kann zu Sicherheitsbedenken, geringerer Produktqualität, mehr Ausschuss und langsameren Produktionszeiten führen.

Neue Mitarbeiter müssen lernen, sich schnell zurechtzufinden. Die Herausforderung besteht darin, das Wissen von Experten so schnell und effizient wie möglich an Neulinge weiterzugeben.

Die Weitergabe von implizitem Wissen kann jedoch wie Stille Post verlaufen: Wenn es im Laufe der Jahre von Mitarbeiter zu Mitarbeiter weitergegeben wird, kann es unvollständig, verzerrt oder neu interpretiert bei einem neuen Mitarbeiter ankommen. Obwohl es eine vollständige, klare Lösung geben könnte, denken Mitarbeiter möglicherweise, dass die gehörte, mündlich überlieferte Teillösung, die einzig wahre ist.

Die Abhängigkeit von implizitem Wissen könnte auch zu einer Unterdrückung neuer Ideen führen. Vielleicht gibt es bessere Wege, ein Problem anzugehen. Wenn die Arbeitnehmer jedoch Angst haben, erfahreneren Mitarbeitern oder Vorgesetzten auf die Füße zu steigen oder das Motto „Das wurde schon immer so gemacht!“ im Unternehmen hochgehalten wird, werden sie schnell entmutigt.

Von implizitem Wissen zu digitalisiertem Wissen

In der dynamischen Fertigungsumgebung von heute ist ein strategischer, dokumentierter und digitalisierter Wissenstransfer erforderlich, der individuelle Erfahrungen und Informationen in institutionelles Wissen umwandelt.

Institutionelles Wissen spielt eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Umsetzung von Industrie 4.0 und Initiativen zur digitalen Transformation. Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, die durch die Integration digitaler Technologien, datengesteuerte Entscheidungsfindung und die Konvergenz von physischen und digitalen Systemen gekennzeichnet ist. Die Nutzung von institutionellem Wissen kann in diesem Zusammenhang auf verschiedene Weise beitragen:

Die Prozessoptimierung profitiert von historischen Erkenntnissen. Das institutionelle Wissen umfasst Erkenntnisse, die aus vergangenen Erfahrungen und Abläufen gewonnen wurden. Die Analyse dieser historischen Daten kann helfen, Ineffizienzen und verbesserungswürdige Bereiche in Fertigungsprozessen zu identifizieren. Mitarbeiter und ihre persönlichen Erfahrungswerte können zu den laufenden Bemühungen um Prozessoptimierung und kontinuierliche Verbesserung beitragen, indem sie Einblicke und Vorschläge auf Grundlage ihrer praktischen Erfahrungen liefern und dieses implizite Wissen in dokumentierten Prozessen festhalten.

Kontextsensitivität ist entscheidend für die Interpretation von Daten und das Treffen fundierter Entscheidungen. Mitarbeiter verstehen den Kontext, in dem Entscheidungen in ihren Bereichen getroffen werden, meist sehr gut. Dies ist eine Schlüsselkomponente der datengesteuerten Entscheidungsfindung. Die Offenlegung dieses Kontextes durch Monitoring- und Berichterstattungssoftwares macht den Kontext für alle zugänglich. Wenn Anomalien oder unerwartete Ereignisse in den Daten auftreten, kann dieser Kontext Aufschluss über die möglichen Ursachen geben und angemessene Reaktionen empfehlen.

Institutionelles Wissen spielt eine wichtige Rolle bei der Einführung und Integration von Technologien. Es wäre ratsam, dass die Technologieanbieter ihre Aufmerksamkeit darauf richten. Mitarbeiter, die mit der Geschichte und den Abläufen des Unternehmens vertraut sind, können zur strategischen Auswahl von Technologien beitragen, die mit den Zielen und Werten der Organisation übereinstimmen. Die Technologien ver- und bestärken dann diese Ziele und Werte. Diese Abstimmung gewährleistet eine reibungslose Integration neuer Technologien in bestehende Systeme, wodurch Störungen vermieden und die Vorteile der digitalen Transformation maximiert werden.

Institutionelles Wissen spielt ebenfalls eine Rolle bei der Risikominderung. Mitarbeiter mit geschäftsrelevantem Wissen sind besser in der Lage, potenzielle Risiken im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien oder Prozessänderungen zu erkennen. Diese Mitarbeiter können dazu beitragen, Strategien zur Risikominderung zu entwickeln, indem sie auf ihre Erfahrungen zurückgreifen, um Herausforderungen zu antizipieren und zu bewältigen. Durch die Umsetzung ihres Wissens in dokumentierte Strategien zur Risikominderung wird ihr Wissen für die gesamte Organisation nutzbar gemacht.

Um den Verlust von Wissen in produzierenden Unternehmen zu verhindern, ist die Erfassung und Nutzung von institutionellem Wissen durch Plattformen wie FactoryEye nicht nur eine Notwendigkeit, sondern ein strategischer Imperativ. Die Sicherung von institutionellem Wissen mit Hilfe von Wissensmanagement sollte zu einem Leitprinzip werden, das nicht nur die Evolution der Fabrik, sondern auch den nachhaltigen Erfolg in einer dynamischen Branche sicherstellt. Wie Carl Sagan weise bemerkte: „Das Aussterben ist die Regel. Überleben ist die Ausnahme.“ Im Zusammenhang mit der Fertigung stellt das institutionelle Wissen die Ausnahme dar – den Schlüssel zur Weiterentwicklung der Branche.

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